Mittwoch, 22. Oktober 2014

Alois ist erleuchtet - Teil 3: Die List der Wanderhure

Die Lesung des Jahres in Traunstein. Das, so preist es der Veranstalter an, erfolgreichste deutsche Autorenpaar, Iny Lorentz, liest im Kulturzentrum. Zeitglich spielt der FC Bayern gegen Roma und obwohl mich niemand begleiten möchte, gehe ich trotzdem zur Lesung. Iny Lorentz haben, so viel ist bekannt, unter dem Titel "Die Wanderhure" einige historische Romane geschrieben. Eine Romanreihe, die meine Frau scherzhaft "Die Wanderschlampe" nennt. Bisher beinhaltet die Reihe: „Das Vermächtnis der Wanderschlampe“, „Die Tochter der Wanderschlampe“, „Die Rache der Wanderschlampe“ und, brandneu, „Die List der Wanderschlampe“. Ich bin begeistert. Und neben mir halb Deutschland. Mit dem Bestseller haben die beiden natürlich etwas mehr Tantiemen verdient als ich, was  mir zwei Stunden später noch zum Verhängnis werden wird. 
Aber erst muss ich mir einen Platz im Kultursaal suchen. Ich bin vermutlich der einzige Mensch auf der Welt, der befangen auf Vernissagen geht und sich wie ein Korken auf dem Wasser fühlt. Grüße Sie, Herr Angerer, meine Empfehlung, Herr Altbürgermeister. Bussi Bussi, Händeschütteln. Nur mich, den bedeutendsten Popliteraten der Stadt, beachtet niemand. Ich beschließe, drei Gläser Prosecco zu trinken, immerhin sind die gratis. Da entdeckt mich der Gastgeber, Walter Niederberger und begrüßt mich herzlich. Sofort laufe ich rot an und revidiere meinen Eindruck und finde die Veranstaltung super. Er weist mich auf seine Gemälde hin, die heute für einen guten Zweck verkauft werden. Der Kauf einer neuen Orgel soll unterstützt werden. Seine Bilder gefallen mir außerordentlich. Keine blassen Aquarellkleckse, wie ich sie von anderen Vernissagen kannte, sondern farbfreudige impressionistische Ansichten Traunsteins auf Acryl. Der Mann, versteht sich wirklich auf Farben, denke ich mir. Später erklärt mir Altbürgermeister Fritz Stahl, dass Herr Niederberger tatsächlich jahrelang die Firma Murschhauser, also das Farbenfachgeschäft in Traunstein geführt hat. Ein Gemälde meiner Heim-Aussicht, den Blick von Ettendorf auf die Stadt hinunter, finde ich in seiner Lichtstimmung äußerst eindrucksvoll. So bemerkenswert, dass ich nicht mehr aufhören kann, hinzuschauen. 
Währenddessen beginnt der offizielle Teil. Oberbürgermeister Christian Kegel vergleicht die Veranstaltung mit "Ein Kessel Buntes", verspricht aber, dass diese, im Gegensatz zur DDR Sendung, keine seichte Unterhaltung beinhalten wird. Ich bin gespannt.
Es sitzen einige der Chiemgau Autoren im Publikum: Michael Inneberger, natürlich. Auch Ina May, Günter Harras und vor mir ein anderes Autorenpaar, Rike Stine und Dieter G.Hoffmann.
Die sechste unserer Autorengruppe, Nora Berger, wegen der ich eigentlich hier bin, sitzt oben auf der Bühne. Sie liest aus ihrem Roman "Der Fluch der Zuckerinsel". Es geht um die Liebe in Zeiten Napoleons, um Martinique und Sklaverei. Soweit so gut. Als die Handlung auf einmal auf eine drastische Vergewaltigungsszene hinausläuft, bin ich plötzlich hellwach und lausche gebannt. Aber als es am spannendsten ist, bricht sie die Lesung mit dem Hinweis, mehr erfährt man im Buch, jäh ab.
Medienmogul Richard Kerler stellt sein Buch über geheime Orte im Chiemgau vor. Ich bin hochinteressiert, weil ich meinerseits an einer Zusammenstellung geheimer Ortein Traunstein arbeite. Ich kaufe mir sofort sein Buch und stelle erleichtert fest, dass wir soweit keine Überschneidungen haben. 
Schließlich kommen endlich die Stars des Abends auf die Bühne. Von der letzten Reihe, in der ich sitze, kann man zunächst nicht erkennen, wer Iny Klocke und wer ihr Mann Elmar Wohlrath ist. Beide haben einen ähnlichen Modegeschmack, der mich an die wilden Achtziger Jahre erinnert. Mit verschränkten Armen und ernst konzentriertem Literatenblick bin ich gespannt, wie sie mir die Wanderschlampe näherbringen wollen. Aber sie unternehmen bis auf einen Verweis auf Balzac erst gar nicht den Versuch, Hochkultur vorzugaukeln. Mit professionellem Humor umschreiben sie den Inhalt der Lesung mit - Zitat BamS: "Wanderhure reitet Pferd tot". Und so kommt es auch. Beide werfen sich unterhaltsam die Bälle zu, spielen das liebevoll enervierte Ehepaar. Es wird gelacht, ich bin begeistert. So lesen also die Profis. Vielleicht kann ich mir noch was abschauen.
Nach der Lesung begutachte ich noch einmal das Gemälde von Walter Niederberger mit dem außergewöhnlichen Lichtspiel. Neben mir steht Elmar Wohlrath und ich warne ihn scherzhaft, dass das mein Bild ist. 
In Gedanken überschlage ich, wie viele Bücher ich verkaufen muss, um mir das Bild leisten zu können. 150. So viel wie ich bisher in meinem ganzen Leben verkauft habe. Ich will nicht wissen, wie viel der Herr neben mir am Tag verkauft.
Walter Niederberger stellt sich dazu und ich mache ihm Komplimente in der Hoffnung, dass er mir das Bild meinem Geldbeutel entsprechend ein wenig günstiger anbietet. Die ganze Zeit steht Iny Klocke daneben und schaut ihn erwartungsvoll an. Während ich gerade ansetze, das Bild schwärmerisch mit den Werken der Pariser Impressionisten zu vergleichen, unterbricht mich Iny Klocke. Walter Niederberger nickt und mit Entsetzen muss ich dabei zuschauen, wie er mein Bild von der Staffelei nimmt und es feierlich der Erfolgsautorin in die Hand drückt. Iny Klocke lächelt mich siegesgewiss an und verschwindet mit meinem Bild. "Ich hätte es mir eh nicht leisten können!", murmle ich und blicke ihr neidisch nach. Auf einmal begreife ich, dies war zugleich die List und die Rache der Wanderschlampe.

Zuhause reiße ich das Poster von Alexandra Neldel von der Wand und haue mich heulend ins Bett. Im Radio höre ich noch das Tor zum 7:1 für die Bayern.

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