Montag, 5. Oktober 2015

Der Tod nach Venedig

Auf der Suche nach einem Fleck, der nicht schön ist
Letztens waren wir eine Woche in Kroation in Urlaub. Am besten hat es uns in Venedig 
gefallen. Venedig, die morbide Stadt am Lido, berühmt für den Tod in Venedig, für die schwarzen, Trauer tragenden Gondeln. Und auf der Rückfahrt sind wir dem Tod nach Venedig sogar noch recht nah gekommen. Jedenfalls hat es sich so angefühlt.
Doch zunächst habe ich Venedig vor dem Untergang gerettet. Mittags setzten wir uns zur Brotzeitpause an einen Brunnen. Da ich vorgewarnt war, dass in Venedig allein ein Espresso 18 EUR kostet, hatte ich mir einen ganzen Rucksack voller belegter Brote und Espressi aus der Thermoskanne vollgepackt. Da hab ich mir mindestens 1000 EUR gespart. Als wir ganz gemütlich Brotzeit machten, merkte ich, wie es im Abfalleimer neben mir zu qualmen begann. Irgendsoein Italiener oder Japaner oder so hatte seine Zigarette nicht vorschriftsmäßig ausgemacht und in den Papierkorb geworfen. 
Meine erste natürliche Reaktion war, unauffällig wegzugehen. Ich wars ja nicht, der Schuld ist, dass Venedig gleich abbrennt.
Im Gedenken an die Pest sind alle Gondeln schwarz
Dann hab ich aber das Gefühl gehabt, dass überall Überwachungskameras aufgestellt sind und hab mich durchgerungen, das knapp kalkulierte Trinkwasser in meinem Lunchpaketrucksack zu opfern. Im Wissen, dass in Venedig ein Mineralwasser sicher über 100 EUR kostet, schüttete ich das kostbare Nass heroisch über die Glut. 
Während ich mich noch selbst für meine Zivilcourage feierte, kam der Gastronom von gegenüber daher und goss weiteres Wasser aus einem Champagnerkübel über den Mistkübel. Vielleicht war es auch Champagner. Das war schwer zu erkennen. Jedenfalls zwinkerte er mir zu und sagte: „I saw, what you did“. Dann schüttelte er mir mit ernstem Blick die Hand und dankte mir auf italienisch für die Rettung der Stadt. Oder sowas in der Richtung, ich kann ja kein Italienisch. 
Das war also der Tag, an dem ich Venedig vor einer Brandkatastrophe bewahrt habe. Dabei, das ist mir erst später gekommen, ist ja nicht das Feuer der Feind der Stadt, sondern das Wasser. 


Der Markusplatz wurde nach Marco Polo, dem Erfinder
der Spaghetti benannt, dessen Gebeine von Kreuzrittern
in Alexandria geraubt wurden.
Nach der ganzen Aufregung haben wir einen Fleck gesucht, an dem Venedig nicht schön ist. Nach vier Stunden haben wir aufgegeben. Kann ruhig untergehen, die Stadt. So viel Schönheit hält ein normaler Mensch nicht aus.
Und dann sind fast wir untergegangen. Zurückgefahren sind wir mit der Prince of Venice. Einem Katamaran der, dies sei extra angeführt, der rührigen Schiffahrtsgesellschaft Kompass. Die haben mehrmals erwähnt, dass das Schiff in Australien gebaut wurde. Was allerdings nicht erklärt, ob das Schiff aus Altersgründen schon recht ramponiert war, oder wegen der weiten Überfahrt von der australischen Werft.
Jedenfalls hat bereits ein mittelmäßiger Seegang ausgereicht, dass das halbe Schiff seekrank wurde – sprich - kotzen musste. Um die kotzenden Passagiere zu beruhigen, hat der Kapitän, schließlich ein Live-Album eines kroatischen Schlagerstars á la Patrick Lindner abspielen lassen. Da musste dann ich beinahe kotzen. Irgendwann wichen die Kotzgeräusche Angstschreie, als der Prinz von Venedig immer heftiger gegen die Wellen krachte, hin und her geworfen wurde und an der Bar die ersten Gläser klirrten. Der Kapitän hat seinen Fahrgäste schließlich erklärt, dass er, um noch höheren Wellengang zu vermeiden, an der italienischen Küste entlangfahren wird. Was uns eine extra Stunde Zeit bescherte, um unseren Mageninhalt zu entleeren, das Best-Of Album des kraoatischen Schlagersängers zu genießen und Kindheitserinnerungen an Jesolo, Bibione und Caorle aufzufrischen.
Wir freuen uns schon auf unsere nächste Fahrt mit
einem Katamaran. Am liebsten direkt nach Australien.
Hoch anzurechnen ist dem Kapitän, dass er persönlich durch die Reihen ging, um Kotztüten auszuteilen und auch noch Scherze machte wie: „You need a sickness-bag?“ „Ja, bitte!“ „Macht zehn Euro. Hihihi!“ 
Als wir nach vier Stunden Todesangst endlich wieder in Kroatien ankamen, klang das Applaudieren der kreidebleichen Fahrgäste dafür, dass der Kapitän uns lebendig zurück gebracht hatte, ehrlich und aufrichtig. Ich habe nicht geklatscht, weil sich meine Finger so in die Kotztüte verkrallt hatten, dass ich die Handflächen nicht mehr zusammenbekam.
So war es rückblickend eigentlich gar nicht so schön in Venedig. Nächstes Jahr fahren wir nicht mehr nach Kroatien, sondern wieder nach Italien.

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