Sonntag, 17. April 2016

Der Thomas Glavinic Komplex

Annäherung an ein gigantisches Projekt

Der Jonas Komplex. Als die ersten Informationen zu Thomas Glavinic' neuen Roman durchsickerten, wuchs das Erstaunen und die Hoffnung, dass der ohnehin nicht als zimperlich geltende österreichische Literat ein an Größenwahn grenzendes, irrsinnig mutiges Großwerk vorlegen würde: Eine konsequente Weiterentwicklung seiner bisherigen literarischen Arbeit. Und, um es auf die Spitze zu treiben, eine Vermengung der Themen aus "Das größere Wunder", "Das bin ja ich" und noch etwas Drittem, Neuem.


Und was soll man sagen, er hat es tatsächlich durchgezogen. Der Jonas Konplex handelt nicht nur vom inzwischen wohlbekannten Jonas, der sich nach drei Jonas-Romanen letztendlich als der stabile Charakter aus dem „Größeren Wunder“ herausgeschält hat. Auch der borderlinende, ungemein unterhaltsame, aber auch ständig vor dem Absturz stehende Wiener Autor Thomas Glavinic ist mit dabei. Neu ist, als dritte Nebenhandlung, ein dreizehnjähriger Schachspieler aus der Steiermark, der mit Pubertät und prekärer Lebenssituation kämpft.

Thomas Glavinic in Leipzig
Natürlich hängt alles zusammen und der echte Autor Glavinic zelebriert die endgültige Vermengung von Literatur und Wirklichkeit.

Dies allein wäre schon ein mutiges Jahrhundertprojekt, berücksichtigt man die schonungslose Wucht, mit der das Buch geschrieben ist.

Glavinic aber geht die Geschichte noch komplexer an: Er inszeniert inzwischen auch auf seinen Lesungen den Thomas Glavinic aus dem Buch - von dem er stets betont, dass er es eben nicht ist: Da wird mit sichtlichem Vergnügen Weißwein gesoffen, ein wenig mit der Nase geschnupft und manche Lesung endet mit dem Hinweis "Ich muss jetzt aufs Klo". Herrlich! Manchmal sitzen sogar die Hells Angels im Publikum und die Provokation der Literaturwelt ist perfekt!
Was will uns Thomas Glavinic sagen, wenn er auch sein Buch mit einem "Thomas Glavinic, Thomas Glavinic" doppelt signiert? Dass es endgültig zwei Figuren gibt? Den echten und den Romanhelden? Es wirkt fast wie die spätere Verwandlung des Hans Hölzl in Falco mit dem Unterschied, dass sich Glavinic erst gar nicht bemüht hat, einen Künstlernamen zu ersinnen.

Könnte auch Homer plavinic, Homer plavinic heißen...
Der Thomas Glavinic, der derzeit seinen Roman präsentiert, ist ein Hemingway, ein Bukowski, ein Schriftsteller-Rockstar wie es derzeit keinen zweiten mehr gibt. Ganze Heerscharen von Kritiker versuchen ihn gerade zu entzaubern. Aber längst wurde etwas entfesselt, eine schwarze Magie, die auch sie nicht mehr stoppen können. Der Jonas Komplex ist nicht so stabil und sauber geschrieben wie die Bücher seines Kumpels Daniel Kehlmann. Aber sie bewegen. Der ganze Körper, das Rückenmark reagiert auf seine Literatur. Und letztendlich ist genau dies die große Kunst.

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