Donnerstag, 11. August 2016

Die digitale Boheme im Chiemgau

Mein 2007er - Ich

Holm Friebe und Sascha Lobo machten im Jahr 2005 mit ihrem Buch „Wir nennen es Arbeit“ die digitale Boheme bekannt. Tenor des Buches war, dass mit den neuen Medien jeder es schaffen kann, auch ohne Festanstellung sich gut zu vernetzen, seine Arbeit bekannt zu machen und damit Geld zu verdienen.
Ich habe das Buch erst jetzt, über zehn Jahre später, in die Finger bekommen. Zehn Jahre, das sind in Sachen Internet ein Jahrhundert. Und auch wenn das Buch noch immer unterhaltsam und inspirierend ist, wirkt es aus einem Grund mehr als verstaubt: Facebook. 2005 war das soziale Netzwerk Nummer Eins noch „Xing“. Heute kaum vorstellbar.
Drehen wir die Zeit zurück und werfen einen Blick auf digitale Boheme in Traunstein. Besser gesagt, einem digitalen Boheme:
Warum gibts die Lokalisten nicht mehr?
Während Passig, Friebe, Lobo & Co. nicht nur gut schreiben, sondern auch programmieren konnten, warf ein Nachwuchsautor in Traunstein nach einigen HTML-Versuchen rasch das Handtuch. Internet, das war nix für ihn. Er stellte einen Text auf „e-stories.de“ und sorgte auf Sagen.at mit seinem Bericht über den Finstermann von Kirchanschöring für eine noch heute herumgeisternde Urban Legend... Das wars. 
Erst, als in kurzer Folge zunächst „studi VZ“, „Lokalisten“ und schließlich „Facebook“ wie aus dem Nichts auftauchten, begann er die Marketingmöglichkeiten des Internets wieder für sich auszunutzen. Mit einem Facebookprofil aus dem Jahr 2006 war er einer der ersten in Deutschland – zumindest im Chiemgau.
Auf myspace stellt er seine Kurzgeschichten, auf den Lokalisten bloggte er – als Fortsetzungsroman die Subkultur-Novelle „Glamorous Indie Rock’n Roll Girl“ und anschließend die ersten Kapitel der Kleinstadtrebellen. Er meldet sich mit einem Account als 21-jährige Ursel Obermaier an (Single) und seine Romanfigur bekommt Dutzende Dating-Anfragen.
Als Digitaler Boheme alles richtig gemacht. Oder?
Während in Berlin die „Zentrale Intelligenz Agentur“ entstand und man auf den Foren der „HöflichenPaparazzi“ seit Jahren gebloggt hatte, wirkten diese hilflosen Vernetzungsversuche sowas von 1999.
Wie die "Kleinstadtrebellen" begannen...
Heute, im Jahr 2016 habe sogar ich eine richtige Homepage, und ein Blog aber irgendwie fehlt das Netzwerk, um sich gegenseitig zu verbinden. Irgendwie gibt es in Traunstein keinen Sascha Lobo, nicht einmal einen Joachim Lottmann der sich mit mir verbinden möchte.

Im keine fünfzehn Kilometer entfernten Grassau ist es einer jungen Frau gelungen, die Sache ein wenig schlauer anzugehen: Ronja von Rönnes Blog „Sudelhelft“ war nicht nur wesentlich besser geschrieben, sie hat auch ziemlich rasch den Chiemgau verlassen, um an die literarisch wichtigen Orte zu gehen: Hildesheim, natürlich Berlin. Und wir, die traurige digitale Boheme Chiemgau, zu der neben mir auch noch der Firnwald und einige der Chiemgau-Autoren gehören, sitzen immer noch seufzend vor unseren Rechnern und fragen uns, wann es auch hier endlich 2005 wird.

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