Samstag, 17. Februar 2018

Die Zweisamkeit der Einzelgänger - Zurück in der Meyerhoff-Welt

Der letzte Teil von "Alle Toten fliegen hoch"

Gutes Buch - allerdings phasenweise ohne
den Zauber der Vorgänger
Joachim Meyerhoff hat sich mit drei unfassbar lustigen gleichwohl rühenden Büchern eine imposante Fangemeinde erschrieben. Die Erwartungshaltung an den Abschluss seiner biographisch angehauchten Reihe "Alle Toten fliegen hoch" war dementsprechend hoch. Obwohl mir die Erwartungshaltung der anderen schnurtzegal ist, blieb auch ich nach Lektüre von "Die Zweisamkeit der Einzelgänger" ein wenig enttäuscht zurück. Ein schönes, ein gutes Buch. Aber an das durchweg erhebende Leseerlebnis seiner "Lücke" vom letzten Jahr konnte er mit seinem Finale nicht anknüpfen. Um zu verstehen, wie Meyerhoff als Literat (natürlich auch als Schauspieler) arbeitet, muss man das Buch dennoch unbedingt gelesen haben:
Denn: Als völlig naiver Leser wie ich es bin, glaubte ich bei Lektüre des ersten Teils "Amerika",  tatsächlich, es handle sich um die Autobiographie des Schauspielers Joachim Meyerhoff. Vieles von den Beschreibungen hatte ich als Austauschschüler in den USA selbst ebenso erlebt. Meist dachte ich aber schmunzelnd: "Ganz so krass ist es bei mir zum Glück nicht eskaliert." Erst ab Band drei begann der blauäugige Bub vom Land, der ich nun einmal bin, zu begreifen, dass Meyerhoff ein Meister des märchenhaften Flunkerns ist. Und allen, die noch schwerer von Begriff sind als ich, liefert Joachim Meyerhoff in der "Zweisamkeit der Einzelgänger" schließlich die Erklärung gleich mit, wie sein Schreib- und Erinnerungsstil entstanden ist: Nächtelang erzählte er seiner Freundin Hanna seine Lebensgeschichte vor dem Einschlafen. Der waren die Anekdoten zu fad und bat ihn, sie möglichst skurril auszuschmücken. Und so, behauptet Meyerhoff, wusste er nach der Hanna-Zeit selbst nicht mehr, was in seinen Erinnerungen wirklich passiert war und was er sich nur ausgedacht hatte. 
Und überhaupt, Hanna. Sein Kennenlernen Hannas, ihre erste Nacht, ein ausgedehnter Spaziergang von der Bielefelder Innenstadt in den Teutoburger Wald, sind ein magischer Start in das Buch. In gewohnt grandioser Meyerhoff-Manier gelingt es ihm, sogar mir, der nicht an die Existenz Bielefelds glaubt, eine euphorische Liebe für diese Stadt einzuimpfen. Beinahe hätte ich schon ein Hotelzimmer in Bielefeld gebucht. Hanna und die Stadt Bielefeld werden skurril-seltsam beschrieben aber immer so liebevoll, dass man als Leser in den erhofften Sog gezogen wird. 
Aber so gut das Buch beginnt, irgendwann kippt es. Es beginnen Wiederholungen: Eine illegale Aktion in einem Kaufhaus erinnert an den Diebstahl des Life-Bildbandes aus der "Lücke". Gleich zwei Mal werden Theaterinszenierungen fast minutiös beschrieben. Weiterhin schön zu lesen, aber immer wieder kam der Gedanke: "Das hatten wir schon mal." Und schließlich wird aus einer Liebesgeschichte eine Fremdgehgeschichte. Und er jongliert nicht nur mit zwei, sondern gleich mit drei völlig unterschiedlichen Frauen. Und auf einmal passiert etwas, das gute Literatur darf und muss, aber ungewohnt neu im Meyerhoff-Universum ist: Man mag den Ich-Erzähler nicht mehr. Und nicht nur ein bißchen, man findet ihn bald so bescheuert, dass man das Buch kurzzeitig weglegen möchte, um sich wieder Dostojewski zu widmen. Das ist fatal in einer Serie die darauf beruht, ein Leben absolut heiter bis zu Tränen rührend zu erzählen. In dem Moment, in dem man den Ich-Erzähler Meyerhoff nicht mehr ausstehen kann, verliert das Buch tatsächlich an Zauber. So ehrlich und literarisch der Inhalt auch sein mag. Womöglich liegt es auch an der virtuosen Zeichnung Hannas, des stärksten Charakters im Buches. Ein Leser wie ich ist natürlich völlig vernarrt in ein Mädchen das tagaus tagein nichts anderes macht als Lesen, Schreiben und denken, denken, denken. Da verzeiht man es dem Ich-Erzähler nicht, dass er gleichzeitig was mit attraktiven Tänzerinnen und wuchtigen Bäckerinnen anfängt.
Quo Vadis Meyerhoff? Zwei Bücher lang hat er uns versucht zu überzeugen, dass er nicht wirklich ein Schauspieler ist. (Ist er natürlich schon! Und was für einer!) Jetzt hat er die vier Bücher seiner Serie "Alle Toten fliegen hoch" vollendet. Was kommt als nächstes?  Ein Roman a lá Knausgard über seine Zeit, als er ein Schriftsteller wurde? Ein großes belletristisches Werk außerhalb des Meyerhoff-Universums? 
Das Finale lässt jedenfalls noch Spielraum nach oben und die Hoffnung bleibt, dass noch viele weitere Bücher folgen!




2 Kommentare:

  1. Kann das Buch nur empfehlen... Ich habe das damals in einem Hotel am Kalterer See gelesen und da kam das sehr gut... Eine interessante Stimmung, die kolportiert wird und super Eindrücke

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  2. "Man mag den Ich-Erzähler nicht mehr..." nun das empfinde ich anders. Sympathie hat viel mit der eigenen Prägung und den eigenen Erfahrungen zu tun weshalb "persönliche" Kritik stets etwas unprofessionell ist. Aus psychologischer Sicht ist der Ich-Erzähler ein sehr nachvollziehbarer Charakter und wie erzählenswert ist schon eine völlig "normale" Liebesgeschichte...

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