Samstag, 3. Juni 2017

Was Haruki Murakamis Romane mit Astralreisen gemeinsam haben

Über das Entstehen magischer Literatur

Haruki Murakami und William Buhlman, amerikanischer Autor und Para-Wissenschaftler, haben auf dem ersten Blick rein gar nichts gemeinsam. Der eine schreibt Literatur auf Nobelpreisniveau, der andere ist bekannt für seine Bücher zum esoterischen Thema "Out of Body- Experience (OBE =Astralreisen). 
Dabei handelt es sich um das Verlassen der Seele oder des Bewusstseins des Körpers. Auch bekannt unter den Begriffen Astralreisen oder Schamanische Reise. Buhlman beschreibt in seinen Büchern Techniken, wie dieser - wissenschaftlich umstrittene - Zustand herbeigeführt wird. 
Zudem - und jetzt wird es interessant - schreibt Buhlman über die Erlebnisse, die er in den Zuständen des "den Körper Verlassens" erlebt. Und hier beginnt die Verbindung zu Haruki Murakamis Werk: Laut Buhlman ist die erste Schwelle den Körper zu verlassen, eine starke Schwingung, ein Schwingungszustand, der dazu führen kann, dass sich Körper und Geist voneinander lösen. Buhlman beschreibt, wie er zu Beginn einer Astralreise plötzlich durch das Gemäuer des Schlafzimmers schwebte. Zudem berichtet Buhlman von einem Paralleluniversum das er in seinen "Out of Body"-Erfahrungen erlebt: Dieselben Menschen der Realität - aber auf unbestimmte Art verändert. 
Erinnert man sich an Murakamis Großwerk 1Q84, gibt es zu Beginn eine Schlüsselszene in der Aomame an der Autobahn eine Eisentreppe hinabsteigt - und fortan in einem anderen 1984 landet. Murakami beschreibt ein Donnern, Vibrieren und Wind. Man muss nun wissen, dass man in einigen Meditationen die zu einer Astralreise führen, in Gedanken eine Treppe hinauf oder hinabsteigen muss. Weitere Merkmale einer beginnenden Astralreise sind neben der Schwingung (Vibration) laute Akkustikphänomene (Donnern) und das Empfinden eines Astralwindes. Kennern des Themas scheint es, dass Murakami hier verklausuliert den Beginn einer Astralreise als Erklärung für das Paralleluniversum aus 1Q84 beschreibt. 
Beim ersten Mal lesen hielt ich dies für eine amüsante Spekulation meinerseits und dachte noch, dass mir beim interpretieren die Gäule endgültig durchgegangen seien. 

Eine neue Interpretation für Murakamis Bücher?


Dann aber las ich Murakamis etwas älteres Buch Sputnik Sweetheart aus dem Jahr 1999.
Es befindet sich thematisch in einer Reihe mit 1Q84 und "Sputnik Sweetheart" könnte auch als Vorläuferbuch von 1Q84 bezeichnet werden. Auch darin beschäftigt sich Murakami mit dem Thema zweier paralleler Welten. Vielleicht ein Zufall, aber auch in diesem Roman gibt es Indizien und Parallelen zu den Astralreisen wie sie Buhlman beschrieben hat: Das Erwachen zum Höhepunkt der Nacht gegen vier Uhr ist die ideale Zeit, um eine Out of Body Experience auszulösen. Gefühle wie Körperlosigkeit ergänzen das Bild. Murakami beschreibt seine Figuren zweitweise so körperlos, als befänden sie sich gar nicht mehr bei sich, sondern schwebten auf - eben einer Astralreise.
Auch bei einer Szene aus "Mister Aufziehvogel" ist mir eine frappierende Ähnlichkeit zu Buhlmans Beschreibung des "durch Mauern Schwebens" aufgefallen: In einem Brunnen gefangen, hat der Protagonist während eines meditativ-dahinvegetierenden Zustandes mehrmals das Gefühl, sein Kopf dringe in das Ziegelwerk des Brunnens ein. 
Bestimmt lassen sich noch mehr Beispiele finden. Da das Phänomen des Astralreisens gesellschaftlich (noch) ein Tabuthema ist und niemand offen zugeben würde, wenn er diese Technik beherrscht, ist denkbar, dass Murakami zu den Menschen gehört, die zumindest Erfahrung darin besitzen. Oder er hat seinerseits Buhlman gelesen und sich von den faszinierenden Geschichten der "anderen Welt" inspirieren lassen. 
Wie dem auch sei - sie beweisen einmal mehr, wie facettenreich Murakamis Arbeit ist. Und wer nicht die Zeit hat, sich durch die über tausend Seiten von 1Q84 zu wälzen, dem sei das wesentlich schmalere aber nicht weniger eindrucksvolle "Sputnik Sweetheart" wärmstens empfohlen!

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